Die geographischen Eigenheiten Norwegens stellen das ganze Land fortwährend vor Herausforderungen. Davon kann auch Sunnmøre ein Lied singen. Als Teil des Westnorwegischen Fjordlands ist wurde man vom lieben Gott mit landschaftlichen Highlights gesegnet. Doch wie das so ist: Es ist oft kein grosser Abstand zwischen Segen und Fluch. Das gilt in Sunnmøre besonders für die Verkehrsinfrastruktur. Wehe dem, der auf der falschen Seite des Fjords wohnt und beispielsweise als Berufspendler jeden Tag einen dieser Fjorde überqueren muss. Natürlich gibt es viele Autofähren aber die kosten erstens Geld, viel Zeit und vor allem fahren sie zu bestimmten Zeiten selten oder gar nicht. Fährfreie Verbindungen sind also angesagt. Jedenfalls da, wo es technisch möglich ist. Die aber sind alles andere als einfach oder gar billig zu haben. Für die vielen Touristen, die besonders die Ruhe und Entschleunigung suchen, ist das nicht immer ein gewünschter Trend. Für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung einzelner Regionen und Kommunen aber wird das immer wichtiger, denn fehlende bzw. schlechte infrastrukturelle Anbindung bedeutet auch der Wegzug von Betrieben, Landflucht und damit verbunden Gesellschaftsüberalterung. Ein Teufelskreis.
Immerfort arbeiten die Verkehrsplaner an Lösungen, die Infrastruktur zu optimieren. Entsprechend gross sind Begeisterung und Enttäuschung, wenn die Osloer Zentralregierung den jährlich erscheinenden nationalen Verkehrsplan veröffentlicht, mit dessen Hilfe mittlerweile schon zahlreiche Projekte realisiert wurden. Als Beispiele für Sunnmøre seien hier stellvertretend die Unterseetunnel zur Giske-Gemeinde oder das Brückensystem, dass die Inseln der Herøy-Gemeinde miteinander verbindet, genannt.
Die teils immensen Kosten werden allerdings nur teilweise durch den Verkehrsetat gedeckt. In aller Regel werden gleich verschiedene Haushaltstöpfe angezapft, um eine Finanzierung zu gewährleisten. Aber stets, und das ist verpflichtend, werden auch die Benutzer des jeweiligen Projektes mittels Maut zur Kasse gebeten. Und das kann für Tagespendler schnell zu einer grossen finanzielle Belastung werden, und das über viele, viele Jahre. So betrug beispielsweise die Maut für die Ålesundtunnel zwischen 1987 und 2009 (inklusive Vergünstigung für Vielfahrer) etwa 8 Euro pro Durchfahrt.
Das führt mitunter dazu, dass betroffene Anwohner nicht automatisch in Jubel ausbrechen, wenn ein solches infrastrukturelles Grossprojekt umgesetzt wird. «Es ist ja schön, wenn meine Kinder in 20 Jahren ohne Fahrplan und gratis zur Arbeit fahren. Aber heute kann ich mein Auto auf dem Festland parken und als Fussgänger mit der Fähre für knapp 5 Euro nach Haramsøya und zurück kommen. Wenn die Brücke fertig ist, kostet es mich das Vierfache und das 20 Jahre lang,» sagte ein Kollege von mir, als der Bau des Nordøyvegen beschlossen wurde, der ab 2022 die Anbindung von Lepsøya, Haramsøya, Longva, Fjørtofta und Harøya ans Festland sichert. Grob kalkuliert wird er also nahezu 60.000 Euro Maut bezahlt haben (und fast Rentner sein), wenn die Mautstation wieder abgebaut wird. Allerdings ist es im Gegensatz zu vielen anderen Ländern so, dass die Mautpflicht aufgehoben wird, wenn der Mautanteil durch die Benutzer „abbezahlt“ ist.
Gross ist die Freude daher, wenn das endlich soweit ist. So geschehen am 21. Februar diesen Jahres in Sykkylven. Die dort im Jahre 2000 eröffnete Sykkylvsbrua überquert den Sykkylvsfjord und verkürzt die Fahrt von bzw. nach Ikornes, Tusvik und Hundeidvik um rund 20 Kilometer. Umgerechnet etwa 15 Millionen Euro kostete das 860m lange und 16m hohe Bauwerk und als gegen Mittag des besagten Tages der letzte zahlende PKW die Brücke überquerte, wurde der schon von der versammelten Lokal- und Regionalpresse mit Kamera, Mikrofon und Blumenstrauss erwartet. Für die Schüler der Barne- und Ungdomsskule mit ihren Lehrern, Politiker sowie die zahlreichen Einwohner, die dem Festakt beiwohnten, gab es Kuchen, Getränke, Musikdarbietungen und – natürlich – Festreden sowie gegen Abend noch ein Feuerwerk.
Die Immobilienpreise an der westlichen Seite der Brücke sind bereits in den vergangenen Monaten angezogen und werden sich mit dem endgültigen Wegfall der Maut wohl noch weiter erhöhen. So war es in all den anderen Fällen auch.
Meinem Arbeitskollegen von Haramsøya hilft das aber erst in mehr als 20 Jahren, wenn auch am Nordøyvegen die Mautstationen weggeräumt sind. Aber den Festakt mit Kuchen, Getränken, Musikdarbietungen und – natürlich – Festreden sowie gegen Abend ein Feuerwerk wird es dann auch auf Haramsøya geben. Schöne Aussichten.
Dirk, 15.03.2018
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