Auswärtsspiel auf Schienen

In meinem Nebenjob als Touguide kommt es hin und wieder vor, auch ausserhalb der Grenzen von Sunnmøre sein Unwesen zu treiben. Gerade in der Vor- und Nachsaison ist die Anzahl einheimischer Reiseleitersehr begrenzt. Wenn sich dann auch noch ein wirklich grosses Schiff in einem kleinen und abgelegenen Hafen ankündigt, herrscht schnell akuter Reiseleitermangel. Genau dies passierte am vergangenen Donnerstag (26.04.2018), als das Kreuzfahrtschiff Britannia mit mehr als 4.000 Passagieren das nur 2.200 Einwohner zählende Örtchen Åndalsnes ansteuerte. Zudem muss man hierzu auch erwähnen, dass der Ort Åndalsnes selbst nun wirklich keinen Ausflug wert ist. Zu funktional und unpersönlich präsentiert sich dieses kleine Städtchen, das im 2. Weltkrieg durch einen deutschen Luftangriff vollständig zerstört wurde. 

In der Folge buchen überdurchschnittlich viele Kreuzfahrttouristen, die Åndalsnes anlaufen, organisierte Landausflüge.

Die nähere Umgebung von Åndalsnes hat es nämlich in sich, denn es warten gleich mehrere touristische Highlights auf die zahlreichen Besucher. Schon die Lage am hintersten Zipfel des Isfjordes spricht für sich. Ausserdem zweigt unweit des Ortszentrums die Provinzstrasse FV63 von der Hauptstrasse in das wildromantische Isterdalen ab, an deren Ende der bekannte Trollstigen-Pass an die fast senkrechten Felswände “geklebt” wurde.

 Eine weitere Besonderheit ist die Tatsache, dass Åndalsnes die Endstation der Raumabanen ist, die aufgrund ihres aussergewöhnlichen Verlaufs ebenfalls ein absoluter Besuchermagnet ist. Und genau hierher sollte ich die Britannia-Passagiere begleiten.

Die Raumabahn beginnt in Dombås als Abzweig der Hauptbahnlinie Oslo – Trondheim.

 Auf ingesamt 114 Kilometer schlängelt sie sich durch das teilweise schluchtenartige Romsdalen, bewältigt dabei 659 Höhenmeter, durchquert 5 Tunnel und überquert alles in allem 8 Brücken. 

Der Bau der eingleisigen Strecke, die nicht elektrifiziert ist, benötigte sage und schreibe 12 Jahre (1912-1924) und wird bis heute sowohl für den Güter- als auch den Personenverkehr genutzt. Während die norwegische Staatsbahn NSB Triebwagen im Linienverkehr einsetzt, gibt es für Kreuzfahrttouristen mitunter die besondere Gelegenheit, den unteren Teil der Strecke in einem vom norwegischen Eisenbahnmuseum (“Norsk Jernbanemuseet”) gecharterten Museumszug zu erleben. Der besteht aus insgesemt 3 Personenwaggons aus den 70er Jahren, die von einer Diesellok der Reihe DI 3b gezogen werden. Die maximale Spitzengeschwindigkeit von 143km/h erreicht die Lok, die 1960 in Dienst gestellt wurde, auf der kurvenreichen Strecke natürlich nicht mal ansatzweise, aber die Steigung schafft sie Dank seiner fast 1.900 PS locker.

Zuvor aber hiess es erst einmal früh aufstehen. Bereits um 06.30 Uhr traf ich mich meinen beiden Guide-Kollegen/-in Helena und Rudolf in Ålesund, um gemeinsam nach Åndalsnes zu reisen. Als wir 1 ½ Stunden später ankamen, lag die Britannia wie erwartet schon am Kai. Und auch die Passagiere liessen auch nicht lange auf sich warten. Trotzdem dauerte es etwas, bis sich alles sortiert hatte. Insgesamt waren es nämlich fast 400 Teilnehmer, die auf der ersten der beiden Touren gebucht waren. Die eine Hälfte fuhr zuerst mit dem Zug nach Bjorli und stieg dort für die Rückfahrt in den Bus während die zweite Hälfte die gleiche Tour in umgekehrtem Ablauf vornahm. Ebenfalls im Zug war ein Fernsehteam vom norwegischen Sender NRK, das einen Beitrag für die Abendnachrichten produzieren wollte.

Die Stimmung im Zug war hervorragend. Auch das Wetter spielte mit und zeigte sich von seiner sonnigen Seite, obwohl die Vorhersage eher Regen vermuten liess. Um 08.45 Uhr rollte der Zug aus dem Bahnhof von Åndalsnes heraus und folgte dem Schienenstrang im südwestlicher Richtung hinein ins Romsdalen. Bereits nach wenigen Minuten kam das markante Romsdalshorn in Sicht, mit 1.550m Höhe quasi das Eingangsportal zum Romsdalen. Fast gegenüber erhebt sich die Trollveggen (=Trollwand), deren lotrechter Teil mit mehr als 1.000m die höchste Steilwand Europas bildet.

Etwas unscheinbar kommt dagegen die Felsformation «Mannen» daher.

Instabile Felsformatione "Mannen"
Instabile Felsformation „Mannen“

Doch gerade dieser Felsabschnitt bereitet ziemliches Kopfzerbrechen, seit man weiss, dass eine Gesteinsformation von 2-3 Millionen Kubikmeter in Bewegung geraten ist. Seither wird die Wand rund um die Uhr überwacht, um die gefährdeten Bewohner bei Gefahr rechtzeitig evakuieren zu können. Das ist bereits mehrfach geschehen, vor allem, als sich im Oktober 2017 ein Teil des instabilen Felsens (etwa 100.000qm) mehr als 30cm innerhalb eines einzigen Tages talwärts bewegte.

Hinter dem Weiler Marstein aber verengt sich das Romsdalen gewaltig und es wird mehr rund mehr spektakulär. Der Rauma-Fluss hat sich zwischenzeitlich deutlich unterhalb der Bahnlinie als tosender Wildfluss in eine Schlucht gegraben während die Eisenbahnlinie den Wasserfall Vermafossen überquert, bevor sie nacheinander zuerst die imposante Kylling Brücke über- und dann den Kyllingtunnel durchquert. Das Tal bleibt wildromatisch. Gerade im Frühling donnern von allen Seiten Wasserfälle ins Tal hinab und auch die Bahnlinie bleibt spannend. Um weiter Höhe zu gewinnen, muss der Zug in einen Kehrtunnel einfahren. Davor kann man allerdings nochmals einen schönen Blick auf den Vermafossen und das zurückliegende Tal erhaschen. Noch einmal wird der Raumafluss auf der Stuguflåt-Brücke überquert, bevor sich das Tal allmählich weitet.

Kurz darauf kündigt sich das kleine Dörfchen Bjorli an, wo die Zugfahrt für «meine» Passagiere endet. Noch am Bahnsteig übernehme ich die nächste Gruppe, die den Hinweg mit dem Bus absolviert hatte und nun mit dem Zug talwärts reisen wird. Eine echte Herausforderung, gilt es doch sicher zu stellen, dass niemand der insgesamt fast 350 Tourteilnehmer vergessen wird.

Um 10.30 Uhr setzt sich der Zug wieder Richtung Åndalsnes in Bewegung. Zeit für eine Tasse Kaffee in der Cafeteria des Museumszuges.

Dirk, 29.04.




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